Ibrahim Almuslim erreicht sein Ziel:
Mit Fleiß, Disziplin und Ausdauer zum Abitur
Geschafft!
Überglücklich und stolz konnte Ibrahim Almuslim am Samstag, 25. Juli 2020, sein
Abiturzeugnis in Empfang nehmen. Notendurchschnitt 2,0 – das muss
ihm erst einmal jemand nachmachen. Denn sein Weg war alles andere als
geradlinig.
Vor
sieben Jahren war der junge Kurde aus Afrin, Syrien, schon einmal
fast soweit gewesen, aber gerade als er seine Abiturprüfung in
Aleppo ablegen sollte, hatte der Bürgerkrieg seine Gegend erreicht,
und der Bombenhagel machte einen schulischen Abschluss unmöglich.
Ibrahim,
gerade mal 18 Jahre alt, musste fliehen und erreichte schließlich im
Dezember 2015 Baden-Baden. Hier begann er unverzüglich und zunächst
unbemerkt, sich mit Youtube-Videos Deutsch beizubringen. Irgendwann
erschien er, von Mitbewohnern ermuntert, bei den ehrenamtlichen
Flüchtlingshelfern und bat in astreinem Deutsch um Unterstützung,
damit er möglichst schnell Volkshochschulkurse besuchen und die
erforderlichen Zertifikate ablegen könne.
Schnell
war klar, dass der strebsame, geduldige junge Mann für seine Zukunft
in Deutschland nicht nur Deutsch-Kurse brauchte, sondern auch einen
Schulabschluss. Er setzte die Latte hoch: ein Deutsches Abitur, denn
nur damit kann man studieren, und das war sein Ziel.
Bürokratische
Hürden standen dem Wunsch des damals 21jährigen allerdings im Weg.
Doch dann erfuhr das Pädagogium in Baden-Baden von seinem Schicksal,
und der Direktor der beruflichen Gymnasien, Andreas Büchler,
beschloss, den jungen Mann zu fördern. Zunächst vermittelte er zwei
pensionierte Lehrkräfte, die Ibrahim regelmäßig ehrenamtlich in
Deutsch und Englisch unterrichteten. Ibrahim lernte mit Begeisterung
– übrigens zusätzlich zum Integrationskurs an der Volkshochschule
und weiteren freiwilligen VHS-Kursen in Deutsch und Englisch. Mit
anderen Worten: Er lernte Tag und Nacht.
Und
so schaffte er ein Jahr später die Aufnahmeprüfung und startete
dank eines Stipendiums ins Schulleben am Wirtschaftsgymnasium, wo er
sich anfangs als 22jähriger unter seinen wesentlichen jüngeren
Mitschülern manchmal etwas fehl am Platze fühlte. Und wieder hieß
es, lernen, lernen, lernen.
Schon
das Kernfach Wirtschaft hatte einen eigenen Wortschatz, und zu allem
Überfluss war auch noch eine weitere Fremdsprache Pflicht: Spanisch.
Doch was zunächst als Riesenproblem aussah, entpuppte sich als
Glücksfall. „Sprachen sind mein Hobby“, erkannte Ibrahim und
lernte mit Feuereifer die neue Sprache, die sogar in gewissen Teilen
dem Arabischen ähnelte. Von Anfang an gab es für ihn nur Bestnoten.
Auch
das komplett andersartige Schulsystem in Deutschland machte ihm zu
schaffen. Hatte man in seiner Heimat mehr Wert darauf gelegt, dass
die Schüler den Stoff auswendig lernten, war hier kombinieren,
diskutieren, erklären gefordert. Und dann das Fach Deutsch: Als
erstes mussten Barockgedichte interpretiert werden, dann wurde Nathan
der Weise gelesen und besprochen. Die altertümliche Sprache war eine
weitere Herausforderung für jemanden, der noch nicht so ganz
sattelfest im Deutschen war. Aber Ibrahim fand Gefallen an der
Literatur, "Steppenwolf", "Das Parfüm", "Der goldne Topf", "Faust I" - mit
jeder Lektüre wuchs seine Freude an guten Büchern. Inzwischen liest
er sich freiwillig durch die Weltliteratur, kein Werk ist ihm zu
kompliziert oder zu dick, wenn er nur mehr Zeit hätte.
Denn
immer stand das Lernen für die Schule im Vordergrund. Corona, wenige
Wochen vor der Abiprüfung, war für ihn persönlich nach seiner
Erfahrung mit dem Krieg eine ganz besondere Herausforderung. „Werde
ich jemals ein Abiturzeugnis bekommen?“, fragte er sich bestürzt,
als noch nicht sicher war, wie es in der Schule weitergehen würde.
Aber dann sah er die Zwangspause vom Präsenzunterricht sehr schnell
als einmalige Chance, Lücken zu schließen, Dinge zu wiederholen,
sich auf die Prüfung vorzubereiten.
Mit
Erfolg! Durchschnitt 2,0. Drittbester in seiner Klasse. Und damit
nicht genug: Das Pädagogium bedachte ihn mit einem Buchpreis für
besondere Leistungen, und der Rotary-Club Baden-Baden-Merkur verlieh
ihm den Friedrich-Gantner-Sprachpreis für besondere Leistungen in
Englisch und Spanisch.
Wie
geht es nun weiter? Freizeit wird auch weiterhin ein Fremdwort für
den strebsamen jungen Mann sein, der sich übrigens ehrenamtlich im
Technischen Hilfswerk engagiert. Fast nahtlos an die Schulzeit
beginnt demnächst ein Vorpraktikum bei dem Unternehmen ARKU, danach
möchte er an der Hochschule Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen
studieren – und freut sich, dass er dort auch sein Spanisch weiter
verbessern kann. Denn der nächste Traum steht schon fest: Ein
Auslandssemester in Argentinien.